22.1.17
Wilfried Krenn/Herbert Puchta. Motive Kompaktkurs DaF. München 2016.
Nachdem wir in Turin in der Triennale jahrelang mit Delfin gearbeitet hatten, war ein Lehrbuchwechsel mehr als angesagt. Zuerst haben wir es mit DaF-Kompakt und dann mit Begegnungen versucht. Zwei Lehrwerke, die in ihrer Konzeption mehr als gegensätzlich sind. Neben der inhaltlichen und methodischen Aktualität ist es uns auch wichtig, dass StudentInnen, die unsere Lektorate nicht besuchen können, sich mit dem Lehrbuch auch selbständig auf die Prüfungen vorbereiten können. Nach langer Diskussion der Pro und Contras haben wir uns seit letztem Herbst für Motive von Hueber entschieden.
Das 30 Kapitel umfassende Lehrwerk führt zu B1. Es gibt es sowohl als Kompaktversion, als auch in 3 Bänden (A1/8 Kap. – A2/ 10 Kap. –B1/6Kap.) mit Arbeitsbuch. Dazu gibt es für jeden Teilband CDs mit den Hörxten u nd Glossare (für Italienisch bis jetzt nur A1) als Download.
Die Bücher sind auch als digitale Version mit integrierten Audiodateien) über die Lernplattform Schooltas erhältlich. Dort ist es auch möglich, Klassensätze zu bestellen. Die Nutzung hängt natürlich von den medialen Ausstattungen der Universitäten und der StudentInnen ab.
Die übersichtlich strukturierten Lektionen bestehen aus einer Einstiegseite mit den Teillernzielen, drei Doppelseiten mit vielfältigen Texten, Aufgaben und Übungen und einer Abschlussseite mit Grammatik und Redemitteln Die abwechslungsreichen, aktuellen und spannenden Lektionsthemen sind sehr lernerorientiert
Die in farblich markierten Kästen aufgeführte Lexik ist durch Hör- und Zuordnungsübungen jeweils in die Lektionen integriert. Das Genus ist zusätzlich farblich markiert, was das Behalten des Wortschatzes unterstützt. Positiv zu vermerken ist, dass in der Wortschatzarbeit immer an bereits Vorhandenes angeknüpft wird.
Die Lesetexte (mit Glossar) werden oft gleichzeitig auch als Hörtexte präsentiert. Das Sprechtempo aller Hörtexte angemessen und sie sind sehr gut und ansprechend eingesprochen.
Die sinnvoll eingeführte und thematisch gut eingebettete Grammatik hat eine schnelle Progression und entspricht der gewohnten Hueber-Präsentation.
Die graphische Aufmachung ist insgesamt sehr übersichtlich und ansprechend. Es gibt farblich markierte Kästen mit Redemitteln, Wortschatz, Grammatikhinweisen und Satzbausteinen. Die Bilder könnten manchmal etwas größer sein, bei einer Kompaktversion aber wohl nicht anders lösbar, es sei denn man hat auch die Möglichkeit der digitalen Präsentation.
Das Arbeitsbuch hat die selbe Struktur wie im KB, so dass die entsprechenden Übungen gleich gefunden werden können. Es gibt eine Lernwortschatzseite, an die Texte aus dem KB anknüpfende Übungen, Ausspracheübungen und am Ende jeder Lektion eine Schreibwerkstatt. Auf der mp3-CD finden sich die Hörtexte aus dem KB und weitere aus dem AB.
Für die Lehrenden sind im Internet noch sehr hilfreiche Lehrerhandreichungen , wie Unterrichtspläne, Tests, Transkriptionen und Grammatikübersichten abrufbar, die sicherlich noch ergänzt werden. Auch für die LernerInnen gibt es weiteres Material.
Die Bilanz der Kollegen ist sehr positiv und auch die Studierenden scheinen mit dem übersichtlichen, aber nicht überfordernden Material gut zurechtzukommen. Einzig beim Arbeitsbuch wünschten sie sich auch noch vom Kursbuch inhaltlich abweichende, aber weiterführende Übungen.
8.12.14
Hier eine Rezension unserer Kollegin Brigitta Flau, der wir von Herzen danken.
Grammatica Tedesca
Forme e Costrutti
Coordinatore: Roberto Bertoz
Autori: Roberto Bertozzi – Hans-Georg Grüning – Karl Gerhard Hempel – Demeter Michael Ikonomu –– Caterina Polidoro – Ottavio Ricci – Maria Cristina Simone – Jana Frauke Walther
Collana «Lingue di Oggi»
17 x 24 cm - pagg. 748 - 2015 - € 58,00
ISBN 978-88-7916-707-9
LED – Edizioni Universitarie di Lettere Economia Diritto
Vor kurzem ist bei LED – Edizioni Universitarie di Lettere Economia Diritto eine deutsche Grammatik erschienen, an der u.a. auch Kolleginnen mitgearbeitet haben (Caterina Polidoro, Maria Cristina Simone und Jana Frauke Walther, alle von der Uni Chieti-Pescara).
Die “Grammatica Tedesca” präsentiert sich mit knapp 750 Seiten als ein imposantes Buch, das man eher nicht in den Unterricht mitnehmen wird. Auch der Preis ist mit 58 Euro für ein Lektorengehalt etwas hoch – wenn es denn möglich ist, sollte man den Band über Unimittel anschaffen lassen.
Ausgangspunkt der Überlegungen dafür, eine weitere deutsche Grammatik auf den italienischen Markt zu bringen, ist nach Ansicht der AutorInnen eine Lücke im spezifisch kontrastiv-wissenschaftlichen Bereich. Es gibt nämlich entweder kontrastiv orientierte Grammatiken für die Schulen oder methodologisch- theoretische Grammatiken für ein nicht spezifisch italienisches Publikum. Das ist schon mal ein interessanter Ansatz!
Ausgehend von Valenzgrammatik und Textlinguistik gliedert die „Grammatica Tedesca“ sich in 3 große Bereiche: Phonologie und Phonetik (allerdings ohne beigefügte CD bzw. Internetanbindung), Morphologie und Syntax. Jedes Kapitel endet mit Übungen, zu denen auch Übersetzungsübungen gehören – allerdings sind keine Lösungsvorschläge beigefügt, was bedeutet, dass diese Grammatik eher nicht zum Selbststudium geeignet ist.
Im Bereich der Morphologie finden sich ausführliche Erläuterungen zur Lexik; hier liegen sicherlich die Stärken dieser Grammatik (Beispiel: Mein Sohn steht auf Diskotheken und Diskomusik. – Mio figlio va pazzo per le discoteche e la disco music. S. 282, Hervorh. im Original) Explizites Ziel ist es, Konnotationen und sozio-pragmatische Dimensionen zu verdeutlichen und bei den Übersetzungsvorschlägen auf Funktionalität zu achten, die bei zweisprachigen Wörterbüchern nur schwer zu gewährleisten ist.
Sehr schön ist z.B. auch die übersichtliche Darstellung der Positionsverben stehen/ stellen, liegen/ legen etc. mit den entsprechenden Übersetzungsvorschlägen ins Italienische oder die Berücksichtigung von Funktionsverbgefügen, die ich in dieser Detailliertheit noch in keiner Grammatik gefunden habe. Im Anhang folgt eine sehr ausführliche, 62 Seiten lange klassifizierende Auflistung der starken Verben mit Ableitungen und Übersetzungen.
Eine Grammatik, die man auch einfach in die Hand nehmen kann, um darin zu schmökern… Neues findet sich allemal.
Der Vollständigkeit halber sei allerdings auch erwähnt, dass nicht alle Beispielsätze überzeugen: „Luise flehte ihren Gefährten an, sie nicht im Stich zu lassen.“ S.250 , „Sommerschlussverkäufe freuen immer die Kunden.“ S. 251 oder „Blutkreislaufkranke Menschen müssen eine cholesterinfreie Diät halten.“ S. 613, die Sätze sind hier willkürlich ausgewählt. Die Wortwahl ist z. Teil etwas veraltet, z.B. S. 267 „Wie es heute steht, kann ich meines Laptops nicht mehr entraten.“ – die Übersetzung wäre hier nicht äquivalent: „Oggi come oggi non riesco più fare a meno del mio portatile.“
Wie steht es mit der Alltagstauglichkeit? Im Unterricht werden wir oft nach konkreten Regeln gefragt oder um Erklärungen zu bestimmten Problemen gebeten. Bei mir tauchte im 2. Jahr der Gebrauch des Indefinitpronomens „welche/r/s“ auf, der bei meinen Studierenden oft zu Fehlern führt. („Ich habe noch welche Milch.“)
Zu diesem Problem fand ich in der „Grammatica tedesca“ leider überhaupt keine Erläuterung, es kommt schlicht nicht vor. Beim unbestimmten Artikel fehlt die pronominale Verwendung im Plural, bei den Indefinitpronomen fehlt „welche/r/s“. Es findet sich als Interrogativpronomen im Kapitel 2/9 unter der Rubrik „Pronomen“. Die Verwechslung findet aber gerade statt, weil „welche/r/s“ auch als Interrogativartikel benutzt werden kann. („Welchen Käse möchtest du?“) Darauf geht diese Grammatik, soweit ich sehe, nicht ein. Leider fehlt ein Register, so dass die gezielte Suche nur über das Inhaltsverzeichnis stattfinden kann.
Eine Grammatik, die dem Leser das ist und wohl auch sein will, was das auf ihrem Deckblatt wiedergegebene Bild von Pacifico Sidoli darstellt: eine spröde Geliebte.
12.4.2015
Die von Oliver Bayerlein herausgegebene Campus Deutsch -Reihe des Hueber Verlags ist für ausländische Studierende (B2-C1) konzipiert, die in Deutschland studieren oder dort ein Fachstudium aufnehmen und ihre sprachlichen und methodischen Kompetenzen verbessern und festigen wollen. Die Reihe besteht aus vier Bänden (Lesen (P. Buchner/O. Bayerlein) – Präsentieren und Diskutieren (O. Bayerlein) – Schreiben (P. Buchner) – Hören und Mitschreiben). Der letzte Band ist noch nicht erschienen.
Ziel des Bandes Lesen ist, die Studenten in die Lage zu versetzen, sich mit Hilfe von Wörterbüchern populärwissenschaftliche Texte zu erschließen. An 5 Textbeispielen werden unterschiedliche Arbeitstechniken (Schlüsselwörter markieren, Vermutungen anstellen, Fragen an den Text stellen, chronologische Abfolgen herstellen, Redewendungen verstehen, etc.) trainiert. Die Texte werden in kleinschrittigen Aufgaben bearbeitet, in denen es darum geht, die Inhalte global und selektiv zu erschließen, Textzusammenhänge zu erkennen, die Lexik zu verstehen und zu erweitern und auch die grammatischen Strukturen zu analysieren. Die Texte werden inhaltlich gegliedert, Einzelabschnitte zusammengefasst und ihre logische Struktur wird erarbeitet . Zusätzlich werden grammatische Kenntnisse vertieft und über die Texte hinausreichende Informationen recherchiert. Zur Festigung werden am Ende eines jeden Textes die einzelnen Arbeitstechniken wiederholt.
Ziel des Bandes Schreiben sind die Techniken zur Vorbereitung des Schreibprozesses wie z. B. Assoziogramme, Literaturrecherchen, Zitieren, adäquater Schreibstil. Dem folgt das Training exemplarischer Zusammenfassungen, Exzerpte, Hausarbeiten, Abstracts, Handouts, Protokolleund Praktikumsberichte.
Der Band Präsentieren und Diskutieren behandelt die Kompetenzen Präsentieren, Diskutieren und Moderieren, die an italienischen Universitäten nicht unbedingt gefragt sind. Der Band bietet manche gute Anregung und Materialien (Negativ- Beispiele auf der beigefügten CD) für die Vorbereitung von Referaten und PPPs, was unseren Studenten sehr nützlich sein kann.
Auch wenn die Zielgruppe dieser Bände ausländische Studenten in Deutschland sind, bietet Campus-Deutsch viele Anregungen und Materialien für das Training von Schreiben, Lesen und Präsentieren im Masterstudiengang. Die vollständige Bearbeitung könnte im Unterricht sehr langwierig und aufwändig sein, doch lassen sich einzelne Übungen gut übernehmen oder auch für die Erschließung anderer Texte adaptieren. Für den Unterricht gibt es auch online Lehrerhandbücher.
Die handlichen (Umfang je Band ca. 90 Seiten) und graphisch ansprechenden Bände eignen sich sehr gut zum Selbststudium. Die Aufgaben sind in das Text- und Bildmaterial integriert und wichtige Begriffe und Arbeitstechniken durch Infokästen hervorgehoben. Am Ende der jeweiligen Bände finden sich entsprechende Rede- und Sprachmittel und die Lösungen können von der Webseite des Verlags heruntergeladen werden. Vor allem der Band Lesen ist den Studenten zum Selbststudium ans Herz zu legen. Neben dem Band Schreiben eine ausgezeichnete Vorbereitung für ErasmusstudentInnen nach dem Bachelor.
1.2.2015
Heute kein Buchtipp, sondern ein Hinweis auf diesen inspirierenden und interessanten Literaturblog aus.gelesen, in dem man nicht nur auf neue Titel stöβt, sondern auch an vieles vor Jahren Gelesenes erinnert wird. Es lohnt sich, mal reinzuschauen.
17.1.2014
Diesmal erinnert uns Elsbeth an Swetlana Geier, die große Übersetzerin aus dem Russischen.
Mit dem Hinweis auf Swetlana Geier laufe ich Gefahr, Eulen nach Athen zu tragen - aber dieses Risiko gehe ich ein. Denn lieber, einmal zu viel von dieser wunderbaren Frau gehört haben als gar nie. Swetlana Geier, die Grande Dame der russisch-deutschen Übersetzung, die deutsche Stimme von Dostojewskij. Geboren 1923 in Kiew, gestorben 2010 in Freiburg i. Breisgau. Eine Kollegin: von 1945 bis 1988 war Swetlana Geier Lektorin für russische Sprache am slawischen Seminar der Universität Freiburg, zusätzlich von 1963-2006 an der Uni Karlsruhe. Ein Leben zwischen den Sprachen, im Dienst von Verständigung und Versöhnung.
„Ich lebe gern, ich atme gern. Und Übersetzen ist eine Form zu atmen.“ Mit wenigen Worten, zwei kurzen Sätzen wischt Swetlana Geier kompliziert kopflastige Theorien vom Tisch. Dabei hat sie mit ihren Übersetzungen russischer Literatur neue Maßstäbe gesetzt.
Taja Gut rekonstruiert im Gespräch mit Swetlana Geier deren bewegende Lebensgeschichte, deren Zäsur das Jahr 1943 darstellt.
Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Dokumentarfilm von Vadim Jendreyko: Die Frau mit den fünf Elefanten (Koproduktion: ZDF/3sat, Schweizer Fernsehen) ist ein sehr einfühlsames Porträt der Frau und ihrer Arbeit als Übersetzerin, das den eigentlich unfilmischen Vorgang des Übersetzens auf faszinierende Weise anschaulich macht.
Als Motivationsankurbler für alle.
31.1.2014
Elsbeth Gut, unsere aufmerksame und unermüdliche Rezensentin aus Urbino , stellt uns heute die literarische Produktion von Angelika Overath und ihrer Familie vor:
Zum Jahresauftakt möchte ich euch nicht ein einzelnes Buch, sondern eine Autorin und ihre vielen Bücher (samt schreibender Familienmitglieder) zur Lektüre empfehlen. Die Zeitungsleser/innen unter uns haben gute Chancen, dem Namen Angelika Overath schon begegnet zu sein: im Feuilleton der NZZ, in Magazinen und Zeitschriften - überall dort, wo von Menschen und Büchern die Rede ist. Angelika Overath ist (in Tübingen) promovierte Germanistin, sie schreibt literarische Reportagen, Literaturkritiken, Essays. 2005 hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht: Nahe Tage. Roman in einer Nacht. (it: Giorni vicini; trad. L. Bortot, Keller editore 2012). Dem folgte 2009 bei Luchterhand: Flughafenfische. Und 2010 ebendort: Alle Farben des Schnees. Senter Tagebuch.
Overath´s Reportagen sind beim Libelle Verlag erschienen: Händler der verlorenen Farben, 1998 und im Jahr 2000, ebenfalls mit dem Untertitel Wahre Geschichten: Vom Sekundenglück brennender Papierchen. 2004 bei Wallstein: Das halbe Brot der Vögel. Portraits und Passagen. Es folgen bei Luchterhand 2012: Fließendes Land. Geschichten vom Schreiben und Reisen.
Zusammen mit Manfred Koch (seines Zeichens Germanist und Overath´s Ehemann) hat sie folgende Anthologien zusammengestellt und mit einem Vorwort herausgegeben: Schlimme Ehen. Ein Hochzeitsbuch. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag 2000; Die Kunst des Einfachen, Herder Verlag 2000; Schlaflos: das Buch der hellen Nächte. Libelle Verlag 2002. Hunde mitzubringen ist erlaubt. Ein literarischer Salon. List Verlag 2008
Als Familientrio (erweitert um Tochter Silvia) firmieren Overath-Koch die beliebten biographisch abgründigen Rätsel (NZZ am Sonntag), die unter dem Titel Genies und ihre Geheimnisse. 100 (neue) biographische Rätsel in Buchform 2006 und 2009 beim List Verlag veröffentlicht wurden.
Mit Tafelrunde. Schriftsteller kochen für ihre Freunde. Luchterhand 2012, hat das Herausgebertrio den reichhaltigen thematischen Anthologien gekonnt ein Sahnehäubchen aufgesetzt.
Angelika Overath versteht sich als Ethnologin des Alltags. Ihrem scharfen Reporterblick entgehen gerade die banalen Dinge nicht. Die abgeschabte Wachstuchdecke auf dem Küchentisch, das kümmerliche Alpenveilchen zwischen den Kakteen auf der Fensterbank, der Knick im Sofakissen. Geradezu unbarmherzig wirkt die Aufzählung dessen, was die Tochter nach dem Tod der Mutter in einem Plastiksack aus dem Krankenhaus mitnimmt: „Das Ende waren neue Schlafanzüge gewesen (....), die zwei neuen Plüschkatzen mit dem Knopf im Ohr, eine schwarz, eine grau; die immer verlegten Brillen, die Stützstrümpfe, das Venen-Gel, der hellgrüne, taftgefütterte Sommerrock, (...) die cremfarbene Stretchhose, die beige Übergangsjacke. Der Umschlag mit dem Ehering. Das Döschen mit dem Gebiß. Der Geldbeutel mit dem kleinen Schein. Der Schlüsselbund.“ Mit einer Fülle solcher Details erzählt sie in Nahe Tage das innere und äussere Geschehen im Verlauf eines Tages, dem Tag nach dem Tod der Mutter. Ort der Handlung, die Wohnung der Mutter, in der die erwachsene Tochter Johanna die hinterlassenen Habseligkeiten sortiert, Wäsche waschend gegen den Anprall der Erinnerungen ankämpft und sich doch wieder im Netz einer erstickenden Mutterliebe und erdrückender Sprachlosigkeit verfängt. Der Roman endet mit dem Verlassen der Wohnung, der Straßenbahnfahrt zum Bahnhof am Morgen danach und dem lakonischen Satz: „beim Hauptbahnhof schwärmten nun die Briefträger aus in einem frühen Duft von Brot und Benzin.“
Die Erzählung dieser Mutter-Tochtergeschichte im Deutschland der späten Nachkriegs- und Aufbaujahre füllt den Zeitraum von ca. 24 Stunden, einen Tag und eine Nacht, in denen die Erzählerin lange tabuisierten Abgründen ins Auge schaut. Das Wort 'Zuhaus' ist einer davon, das verlorene 'Zuhaus' der heimatvertriebenen Großmutter, das die Mutter als stummen Vorwurf zwischen sich und den Vater stellt. Das scheiternde Leben des Vaters, die ganz eigene Art, auf die ihre Familie unglücklich war, die Versuche der Tochter, dem zu entkommen – all dies, und vor allem die Art, wie erzählt wird, mit Härte und Erbarmen, mit Staunen und Glanz, machen Nahe Tage zu einem Leseerlebnis, das tief berührt.
Mit ihrem Umzug 2007 in den romanisch-sprachigen Engadin sind die Themen Zugehörigkeit-Zuhaus-Sprache auf neue, existentielle Weise aktuell geworden. Für Overath sind es Schreibanlässe: Alle Farben des Schnees ist das über ein Jahr geführte Tagebuch vom neuen Leben im Bergdorf. Beobachten, beschreiben, erzählen und immer wieder Dinge auf den Punkt bringen, engführen wie beim Gedichteschreiben in der noch unbekannten Sprache: das macht die gedankliche Substanz des Buches.
Eine sehr komprimierte Form zum Thema Sprachenlernen/lehren stellt der Aufsatz In üna lingua estra tuot es da stà – Vom Sprechenlernen durch Kreatives Schreiben (aus dem Band Fließendes Land) dar.
1.1.2014
Zum Jahresbeginn möchte ich euch (danke Johannes !) auf den Literatur-Blog Rosinenpicker aufmerksam machen. Holger Moos „informiert in seinem Blog über deutschsprachige Neuerscheinungen aus der Buch- und Medienwelt und stellt aktuelle Bücher und Hörbücher aus den Bereichen Belletristik und Sachbuch sowie Musik-CDs vor“. Dieser Blog mit vielen nützlichen Links aus der Literaturwelt ist eine Fundgrube, mit dem literarisch Interessierte immer auf dem aktuellsten Stand sein können. Außerdem gibt es auch die Möglichkeit mitzubloggen.
22.12.13
Liebe Homepageleser,
zum Jahresausklang noch zwei Lektüretipps unserer Redaktionsmitglieder Sylvia Fischer:
Ich habe soeben das Taschenbuch Simultan, das auch die bekannte Erzählung "Drei Wege zum See" beinhaltet, von Ingeborg Bachmann nochmal gelesen. In dem Buch werden verschiedene Frauen vorgestellt, die nie wirklich in ihrem Leben angekommen sind. Das Buch der österreichischen Autorin ist auch daher für uns interessant, weil sich die Schriftstellerin wie wir lange Zeit in Italien aufgehalten hat. Eine der Erzählungen ("Simultan") spielt auch in Italien. Daneben ist es interessant, welche Ansichten der Österreicher gegenüber den Deutschen zum Beispiel in der Erzählung "Drei Wege zum See" zum Ausdruck kommen. Der Vater der Ich-Erzählerin macht sich gern über die nervigen deutschen Touristen Luft, die den ganzen Sommer über den See belagern. Die Schriftstellerin setzt sich außerdem oft mit dem Thema Sprache auseinander: In "Simultan" ist die Protagonistin eine Simultandolmetscherin, die trotz der Kenntnis zahlreicher Fremdsprachen keine Sprache findet, um wirklich mit anderen Menschen zu kommunizieren. Es werden auch verschiedene Sprachen im Text verwendet, was unter Umständen auch für einen Einsatz der Erzählung im Unterricht sprechen könnte.
und Johannes Kurzeder:
Kai Biermann (Psychologe) und Martin Haase (Linguist): Sprachlügen. Unworte und Neusprech von Atomruine bis zeitnah. Fischer, 2013, 263 Seiten, 9,99€
Muttis alternativlos setzte schon Margaret Thatcher beim Abschaffen des Sozialstaates in England ein. Wäre Politik also tatsächlich alternativlos, bräuchte es gar keine Politiker, die Dinge würden einfach so geschehen. (…) (Der Begriff) ist vielmehr eine Lüge. Nur Etikettenschwindel oder manipulative (semantische) Umdeutung von Begriffen? Oder gar Sprachregelung?
Für unsere Gilde eine erhellende Lektüre über in letzter Zeit neu konnotierte Wörter, die bei näherem Hinsehen entweder die Wahrheit verbrämen oder wie ein Luftballon zerplatzen, wenn man sie auch nur sachte anstupst.
Nebenbei: Was in Italien bisher eine manovra economica war, mutiert jetzt zu einem patto di stabilità. Wenn das mal kein semantischer Mehrwert ist – aber teuer wird es allemal.
Ich möchte euch nochmals das Hand- und Übungsbuch zur Sprachmittlung Italienisch – Deutsch von Peggy Katelhön und Martina Nied ans Herz legen, das auch in der daf-Werkstatt 17-18 von Violet Schlossarek rezensiert wurde.
Wie die Sprachmittlungstagung vom November in Rom gezeigt hat, ist es mittlerweile ein Grundlagenwerk für diese kommunikative und interkulturelle Kompetenz und bietet vielerlei Vorschläge und Anregungen für die Arbeit im Unterricht auf allen Niveaus.
Ich wünsche euch erholsame und besinnliche Feiertage und einen guten Rutsch
22.6. 13 Rechtzeitig zur Ferienzeit neue Lektüretipps von Elsbeth Gut. Diesmal ist sie im Literaturpaket 2013 des DAAD fündig geworden, aus dem sie uns Titel von F.C.Delius, Jenny Erpenbeck und Ursula Krechel vorstellt. Außerdem legt sie uns noch den italienischen Autor Diego Mariani ans Herz, der sich mit dem Sprachenlernen befasst.
Friedrich Christian Delius. Als die Bücher noch geholfen haben. Biografische Skizzen. Rowohlt-Berlin 2012
F.C. Delius ist 1943 in Rom als Pfarrerssohn geboren, in Hessen aufgewachsen und lebt heute in Berlin und Rom. Körperlich und seelisch zart gebaut, hat der Stotterer sich früh den leisen Tönen der Poesie verschrieben. Als Jungdichter und Sprachbastler hat er sich „am Schopf der eigenen Texte aus dem Sumpf der Sprachlosigkeit“ gezogen. Mit wachsendem Selbstvertrauen wuchs auch „die Lust am Widerspruch – erst gegen die Sprache der Väter, Großväter und Götter, dann gegen die Sprachen der Floskeln, der Macht, der Wirtschaft, der Ideologie.“ Im Berlin kurz nach dem Mauerbau ist Delius als Schriftsteller, Verlagslektor, politisch denkender und handelnder Mensch gereift. Zum Auftakt des siebten Lebensjahrzehnts hält Delius im vorliegenden Buch Rückschau und zieht Bilanz. Die vier Kapitel tragen sprechende Titel: 1. Zwischen Ich und Wir; 2. Wagenbach und RAF und Rotbuch; 3. Literatur vor Gericht; 4. Mauer-Unterwanderungen. Delius' „Nahaufnahmen literarischer Lebenskapitel aus den Zeiten, als Bücher noch geholfen haben“ sind unverhohlen autobiografisch, also subjektiv. Dem einst schüchtern Stotternden mangelt es weder an Selbstwertgefühl noch an Streitlust. Er will sich, so der Eindruck, ein paar Steinchen aus den Schuhen klauben und wäscht zu diesem Zweck haufenweise schmutzige Wäsche, an der es der linken (Verlags)Szene nicht mangelt. Auf die Weise kommen auch Namen und Bücher wieder zu Tag, die man längst vergessen hat.
Jenny Erpenbeck. Aller Tage Abend. Knaus, 2012, 285 Seiten.
Jenny Erpenbeck (Ost-Berlin, 1967) gilt als die Poetin unter den neueren deutschen Schriftstellern. Poetisch ist ihre präzise, nachfragende, nachdenkende Sprache – und poetisch ist ihr Blick auf das Leben in seinen alltäglichen Erscheinungs- und Möglichkeitsformen. Wie die Große Geschichte sich in der kleinen niederschlägt, wie sie sich in die Körper der Menschen einschreibt und ihre Spuren, Narben, Zeichen hinterlässt, ist ihr zentrales, in Varianten wiederkehrendes Thema. Erpenbeck hat den ruhigen Atem der Erzählerin, die generationen- und länderübergreifende Entwicklungen verfolgt, im fransigen Arazzo der europäischen Zeitgeschichte vielen Fäden nachspürt und die sich wiederholenden Muster (Totalitarismen, Verfolgung, Täter- Opferschaft, etc.) sichtbar macht. Das gilt auch für ihren neuen Roman Aller Tage Abend.
„Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, hatte die Großmutter am Rand der Grube zu ihr gesagt. Aber das stimmt nicht, denn der Herr hatte viel mehr genommen, als da war – auch alles, was aus dem Kind hätte werden können, lag jetzt da unten und sollte unter die Erde. Drei Handvoll Erde, und das kleine Mädchen, das mit dem Schulranzen auf dem Rücken aus dem Haus läuft, lag unter der Erde, (...) drei Handvoll Erde, und die Zehnjährige, die mit blassen Fingern Klavier spielt, lag da; drei Handvoll, und die Halbwüchsige, der die Männer nachschauen, weil ihr Haar so kupferrot leuchtet, war verschüttet ...“ Alle Lebensphasen, die dem plötzlich gestorbenen Säugling vorenthalten bleiben, werden in Aller Tage Abend zu gelebtem und erzähltem Leben. Fünf Bücher spannen einen Bogen vom Anfang des Jahrhunderts bis in die Zeit nach der Wende im Jahr 1989, wo eine 90jährige im Altersheim stirbt. Jedes Buch erzählt einen Lebensabschnitt, entwirft ein Tableau historischer Gegebenheiten, zeigt, wie Menschen sich darin bewegen. Einzige Konstante: nach jedem Abschnitt stirbt die Hauptfigur. In vier kurzen Intermezzi wird die Frage nach den schicksalhaften Momenten, den lebensentscheidenden Begegnungen oder Zufällen gestellt. Der Irrealis des: was wäre gewesen wenn, wird zum Gedankenspiel, das die Lebensgeschichte der Hauptfigur eine andere Wendung nehmen, sie eine weitere Runde im Rad der Geschichte drehen lässt. Denn: „Am Ende eines Tages, an dem gestorben wird, ist längst nicht aller Tage Abend.“ Und die Welt-Geschichte dreht sich mit: vom österreichisch-ungarisch-jüdischen Galizien des frühen Anfangs führt die Erzählung in das Wien der 18jährigen im Jahr 1919, dann nach Moskau, wo die 37jährige zum Opfer der stalinistischen Schauprozesse wird, nach Ost-Berlin im Jahr des Mauerbaus, wo die 60jährige als regimetreue Intellektuelle gefeiert wird und schließlich ins Jüdische Altersheim in Berlin im Jahr 1989. Dort geht mit dem Jahrhundert das Leben der inzwischen neunzigjährigen Hauptfigur endgültig zu Ende. Anfang und Ende spiegeln sich: hier trauert eine junge Mutter um ihr verstorbenes Kind, dort weint ein Sohn um seine tote Mutter „und dennoch wird er sich, während ihm der Rotz aus der Nase läuft, und er seine eigenen Tränen verschluckt, fragen, ob diese merkwürdigen Laute und Krämpfe wirklich alles sind, was dem Menschen gegeben ist, um zu trauern.“
Aus diesem Buch spricht eine sehr belesene, sehr kluge und feinfühlige Frau. „Ich beschreibe die Wände – nicht den Raum, in dem sich meine Figuren befinden. Den Raum ausschreiben soll der Leser“ sagt Erpenbeck in einem Interview. Die Wände, die sie beschreibt, sind so vielschichtig, so feinstrukturiert, dass der Raum, den sie bilden, zu atmen beginnt und zum inneren Echoraum jedes/r Lesenden wird. An so einem Ort kann sich Poesie ereignen.
Ursula Krechel. Landgericht. Jung und Jung, 2012. 495 Seiten
Für ihre bisher 13 Lyrikbände ist Ursula Krechel mit vielen Preise bedacht worden. Sie geht als Dichterin den Wörtern, als Romanautorin der gelebten Wirklichkeit auf den Grund. Auf den Grund gehen heißt bei ihr, in Archiven akribische Feinarbeit leisten.Zehn Jahre lang hat Ursula Krechel in Archiven recherchiert und Material zusammengetragen, anhand dessen sie die Lebensgeschichte eines realen Menschen paradigmatisch als Generationenschicksal erzählt. Bereits der erste Teil ihres literarischen Großprojekts, der 2008 erschienene Roman Shanghai fern von hier , der in einem Verschnitt von Dokumentation und Fiktion vom Schicksal der achtzehntausend deutschen Exilanten in Shanghei erzählt, hat große Beachtung gefunden. 2012 folgte der Roman Landgericht , der im selben Jahr mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Beide Romane bringen hartnäckig Verdrängtes, Unausgesprochenes zur Sprache. Und sie sind, so formuliert es die Autorin in ihrer Dankesrede „persönliche Wiedergutmachung einer misslungenen Wiedergutmachung“.
Landgericht übt Gerechtigkeit. Hauptfigur ist der Richter Richard Kornitzer, der 1948 aus dem kubanischen Exil nach Deutschland zurückkehrt in der Hoffnung, seine verstreute Familie und sein zerstückeltes Leben wieder zusammennähen zu können. In dreizehn Kapiteln, in Rückblenden auf das großstädtische Berliner Bürgermilieu der 30er Jahre, in die angstvolle Zeit der Verfolgung in Nazideutschland, in die Jahre des kubanischen Exils und schließlich das Nachkriegsdeutschland des Wiederaufbaus rollt Ursula Krechel die Geschichte aus der Perspektive des Verfolgten auf, der immer noch hartnäckig an den Rechtsstaat glaubt und ihn für sich einfordert. Die Wunden im Leben des Richard Kornitzer und seiner emanzipierten Frau Claire, ihrer Kinder Georg und Selma, die sie nach England in Sicherheit gebracht zu haben glauben, sind nicht zu heilen. Kornitzer entwickelt psychische und physische Krankheitssyndrome, denn der Knick in der Lebenslinie zieht irreparable Schäden für die Verfolgten nach sich. Der Richter will Recht sprechen, Gerechtigkeit schaffen, auch für sich. Einer gegen alle. Sein Leben geht daran zugrunde. Die spröde, unsentimentale Sprache, mit der aus dem Innenleben der Hauptfigur erzählt wird, bringt die Erschütterungen im Großen und im Kleinen nachhaltig zum Ausdruck. Hier geht Geschichte unter die Haut.
Diego Marani: Come ho imparato le lingue. pasSaggi Bompiani 2005. pg. 148
Als Nachklapp zum Jahrestreffen 2012 in Napoli (zentrales Thema Motivation / Motivationsforschung) eine definitive Lektüreempfehlung: Diego Marani, Come ho imparato le lingue. Der 1959 in Ferrara geborene Autor ist im Brotberuf Funzionario internazionale beim Ministerrat der europäischen Union in Brüssel. Ausserdem hat er Romane geschrieben u.a. Nuova grammatica finlandese (Premio Grinzane Cavour 2000), L'ultimo dei vostiachi (Premio Stresa 2002), L'interprete (2004), Il compagno di scuola (2005). Seine Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt. Er schreibt Rezensionen für die Literaturbeilage des sole24 ore, meist von Büchern, die mit Sprache zu tun haben. Sprachen und Sprachenlernen sind sein métier. Hier ein paar Zeilen O-Ton: „Ho fatto il cameriere, il bagnino, il panettiere, il contadino, il portiere di notte e il barista per poter praticare le lingue che studiavo. Non c'è ne una delle parole di ogni lingua che conosco che non mi sia costata fatica. E ancora oggi devo spendere molte delle mie energie per conservare la memoria di una conoscenza che è effimera come i suoni da cui è portata. Questa lunga frequentazione delle lingue e l'articolata pratica del loro studio mi hanno fatto accumulare (...) una serie di avventura che ho deciso di raccontare in queste pagine sperando che servano a chi come me coltiva la presuntuosa ambizione di parlare le lingue degli altri.“
Selten habe ich eine so humorvolle und dabei kenntnisreiche Analyse dessen gelesen, was Sprachenlernen (und -lehren) bedeutet und mit sich bringt: „Mi piegai così umilmente all'imperscrutabile volontà del Dio sconosciuto che a ogni costo voleva farmi praticare il francese in Inghilterra e l'inglese in Francia.“ Marani, authentischer Vorläufer der heutigen Generation Erasmus – zu der auch Gianni Celati gehört, wie in Lunario del paradiso (mit größtem Genuss) nachzulesen - legt in seiner autobiographisch gefärbten Erzählung einen verwegenen Ritt hin durch 50 Jahre Sprachdidaktik – was nicht wenige Wiedererkennungseffekte und Lacher auslöst.
Für Lehrende und Lernende als versöhnliche Bett- oder Strandlektüre bestens geeignet.
13.4.13 Buchtipps von Elsbeth Gut. Unsere Kollegin aus Urbino stellt zwei Bücher von Dieter Bachmann und Ingo Schulze vor, die sich mit Italien befassen.
Dieter Bachmann. Die Vorzüge der Halbinsel. Auf der Suche nach Italien. marebuchverlag 2008.
Nicht mehr ganz druckfrisch, aber noch lange nicht altbacken. Der Autor, Dieter Bachmann, 1940 in Basel geboren, leitete 10 Jahre lang die Zeitschrift du und war vier lange Jahre Direktor des Istituto Svizzero in Rom. Die Kapitel der Geschichte, die Italien und die Schweiz besonders verbinden, hat er in Il lungo addio – Der lange Abschied. Die italienische Emigration in die Schweiz eindrücklich dokumentiert. Die Vorzüge der Halbinsel ist ein rabiater Versuch über Italien, ein Textmosaik, verstanden als Ansätze zu Analysen eines durch und durch politisch denkenden Menschen, festgehalten mit dem noch halbwegs naiven, noch nicht desillusionierten Blick, mit dem der Autor nach acht Jahren Leben und Arbeiten auf dieses Land schaut. „Es könnte sein“ – formuliert die Dichterin und Namensvetterin Ingeborg Bachmann einmal vorsichtig - „es könnte sein, dass man jetzt aus der Verzauberung entlassen wird, mit dem Geschmack für die Wirklichkeit.“ In der Tat. Während seiner vierjährigen Amtszeit als Leiter des Schweizer Kulturinstituts in Rom sei jede Verzauberung im Würgegriff der Bürokratie, in der lähmenden Langsamkeit, der staubigen Apathie der Vorzimmer erloschen. Und, was schlimmer wiegt, gleichzeitig der Traum vom Haus in vermeintlicher ländlicher Idylle streckenweise zum Alptraum mutiert. „Was ist das denn, dieser Hang und Drang in das geliebte, verfluchte Land, diese zwanghafte Rückkehr, diese Krankheit ...“ Das Buch versucht Antworten: Erzählt von Begegnungen, die oft Konfrontationen waren, von Orten, die einen verändern und die sich verändert haben, erzählt von den tiefgreifenden, unumkehrbaren Veränderungen der letzten Jahre. Im Hintergrund, die Ströme der Migranten, die, die in Wirtschaftswunderzeiten mit der freccia del sud nach Norden fuhren und die, die heute als Opfer ihrer Hoffnungen (und geldgieriger Menschenhändler) an Italiens Südküste stranden. Ein vielstimmiges Buch, das keine Angst hat vor brisanten Themen, das Geschichte in kleinen Momentaufnahmen erzählt.
Den letzten Satz möchte ich nicht vorenthalten: Nachwort, ein Gespräch zwischen Dieter Bachmann und Peter Kammerer. Frage Bachmann: In welcher Weise gehört Italien zu Europa? Antwort Kammerer: „Die Alternative ist falsch gestellt, aber lieber verzichte ich auf Europa als auf Italien. Wenn die Moderne Bankrott macht, liegt hier noch Zukunft. Hoffe ich.“
Come dire: la speranza non muore mai!
Ingo Schulze. Orangen und Engel Italienische Skizzen. Mit Fotografien von Matthias Hoch. Berlin Verlag 2010
Ingo Schulze liebt Geschichten. Und er 'kann' Titel. Simple Storys nannte er den Roman aus der ostdeutschen Provinz, mit dem er 1998 sein Debüt auf dem literarischen Parkett des wiedervereinten Deutschland gab. 2007 kommt Handy. 13 Geschichten in alter Manier; noch im selben Jahr stellt Schulze seine Leipziger Poetikvorlesung unter den Titel 1000 Geschichten sind nicht genug. Kaum ein Jahr später, 2008, fängt er mit dem Erzählen (der Geschichte von Mauerfall und Wiedervereinigung) sozusagen ganz von vorne an, nämlich bei Adam und Evelyn.
Dazwischen war Ingo Schulze ein Jahr lang Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Aus dieser Zeit stammen Orangen und Engel Italienischen Skizzen, insgesamt 9 Erzählungen, die mit 48 Fotografien von Matthias Hoch, der 2003 ebenfalls Stipendiat der Villa Massimo war, in einem sehr ansprechenden Hardcoverband herausgegeben wurden. Der editorische Klappentext weist darauf hin, dass Fotografien und Text „ein Zwiegespräch von spröder Poesie führen“. Stimmt. Das erzählende Ich, Schriftsteller und Stipendiat nebst Frau und kleinen Kindern, berichtet von seinem Alltag in Rom, von Ausflügen nach Neapel und Sizilien, von alltäglich befremdlichen Begegnungen. Der Fabulierer Schulze legt zeitliche Schichtungen, kulturgeschichtliche Ablagerungen frei, so liest sich beispielsweise Augusto der Richter als eine Hommage an Pasolini und Fellini; er kreuzt mythische Landschaften und antike Ruinen mit Existenzen am Rand der italienischen Gesellschaft, mit illegalen Einwanderern, rumänischen Tütenträgern am Supermarkt, afrikanischen Prostituierten. Die Geschichten – wie die Fotografien - haben etwas Exemplarisches, auch Symbolisches und bleiben doch schwebend und ambivalent. Sie gehen Dingen und Menschen auf eine wohltuende Weise auf den Grund.
Für Freunde der Buchkunst ist die literarischste der Geschichten, Augusto der Richter, mit 96 Abbildungen der Graphikserie Black Dances von Peter Schnürpel als bibliophiler Band gesondert erschienen.
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Elsbeth. Ich hoffe, dass sie viele NachahmerInnen findet. Hier sei auch noch einmal auf die letzten Bücherpakete des DAAD (Literatur 2012, Film) verwiesen, die sehr viele schöne und lesenswerte Titel enthalten.
15.12.12: Buchtipps der Redaktion zu Weihnachten
Wir haben uns mal in der Redaktion umgehört, wer gerade welche Bücher liest oder empfehlen kann, damit wir euch ein paar Lektüretipps für die Weihnachtsferien geben können. Hier ist das Ergebnis:
Ilona Mesits:
Hallo ihr Lieben! Ich lese gerade La collina del vento von Carmine Abate, Meike Behrmanns Mann, mit dem er dieses Jahr den Premio Campiello gewonnen hat!
Alexa Hausner:
Auf meinem Schreibtisch liegt gerade Schulden von David Graeber, das habe ich mir für die Weihnachtsferien vorgenommen. Soll, wenn man die heutige Finanzkrise verstehen möchte, ein absolutes Muss sein.
Auf dieser Schiene, aber sehr literarisch inspiriert. Das Gespenst des Kapitalismus von Joseph Vogel.
Sylvia Fischer:
als ich letzten sommer in augsburg war, habe ich wie immer auf einem kiloflohmarkt zugeschlagen und dabei ein paar sehr sehr nette buecher gefunden:
Radek Knapp: Herrn Kukas Empfehlungen
Wolfram Fleischhauer: Der gestohlene Abend
Francoise Dorner: Die Frau in der hinteren Reihe
Bodo Kirchhoff: Schundroman
also mir haben alle vier bücher gefallen, weil sie eher ironisch und spannend sind.
Katrin Junge:
Gerade habe ich die Lektüre von Netzgemüse von Tanja und Johnny Haeusler beendet. Ein kurzweiliges Sachbuch zum Thema Kinder und Jugendliche im Netz, das wohltuend über die üblichen Verteufelungstiraden hinausgeht und Eltern zeigt, wie sie sich ihren Kindern gegenüber aufgeklärt verhalten können.
Neil MacGregor, der Direktor des Britischen Museums, gibt in seinem Buch Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten kenntnisreiche Einblicke in die Weltgeschichte. So tolle Geschichtsstunden hatte ich in der Schule nie.
Wer sich für japanische Kultur interessiert, dem empfehle ich den faszinierenden Roman Die Geisha von Arthur Golden.
Johannes Kurzeder:
Eine Empfehlung für Freunde von Krimis der anspruchsvolleren Art: Wolfgang Schorlau versteht es in seinem Politkrimi Fremde Wasser die Mittel in der juristischen Grauzone offenzulegen, mit denen finanzkräftige und ausschließlich an Profit orientierte private Marktakteure Kommunen, Stadtverwaltungen und ganze Staaten dazu bringen, ihre öffentlichen Wasserrechte an private Investoren abzugeben. Dass sich hinter der Fassade des effizienteren und deshalb vorgeblich billigeren Wasserverkaufs letztlich nur Abzockerei verbirgt, entdecken die Verbraucher nicht immer erst, wenn es bereits zu spät ist:-).
Dem Krimi-Genre wird der Autor bei der Behandlung dieses sehr aktuellen Themas hervorragend gerecht. Der Privatermittler Dengler stolpert in seinem 3. Fall in einen Filz von privaten Finanzjongleuren und inkompetenten Politikern verschiedenster Ebenen, dessen Auflösung es an der unverzichtbaren Spannung keineswegs fehlen lässt. Anzi...
Michaela Reinhardt:
Christa Wolf, Stadt der Engel: In ihrem letzten großen Werk, einem biographisch-fiktional angelegten Roman setzt sich die Autorin mit ihrer jüngsten und älteren Vergangenheit auseinander. Der einjährige Stipendienaufenthalt am Getty Center in Los Angeles erlaubt es der Ich-Erzählerin, mit dem nötigen Abstand auf die Ereignisse in ihrem "kleinen Land" zu(rück zu) blicken. Dabei werden Fragen wie die des gescheiterten Sozialismus, aber auch der eigenen Glaubhaftigkeit und Verantwortung neu aufgeworfen. Insgesamt entsteht ein vielschichtiges Dokument des 20.Jahrhunderts.
Elisabeth Eberl:
La Verità di carta von Paolo Toso. Der Autor, ein Turiner Staatsanwalt, erzählt die fiktive Geschichte vom Ingenieur Enrico Chiari, der mit Bestechungsgeldern versucht hat, einen öffentlichen Auftrag für sein Unternehmen zu erhalten. Die Sache fliegt auf, er wandert für ein paar Tage ins Gefängnis und versucht im Nachhinein, seine Wahrheit darzustellen. Amüsantes Buch, das auf recht leichte Weise einen Einblick in das italienische Justizwesen gewährt. Für alle (nicht nur Piemontesen), die schon immer mal das juristische Kauderwelsch dechiffrieren wollten.
25.09.12: Wenn ihr wieder mal auf der Suche nach vereinfachten Lektüren für eure Studenten seid, könnten diese Titel auf B1-Niveau interessant sein. Peggy Katelhön – sie hat bis letztes Jahr die Rezensionsseite betreut – hat zwei Klassiker der deutschen Literatur für den DaF-Unterricht bearbeitet. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ (Eli Edizioni. ISBN 9788853606600) und Kafkas „Die Verwandlung“ (Eli Edizioni. ISBN 9788853607973) Die Texte sind vereinfacht, doch wurde trotz teilweise drastischer Kürzungen der Stil und die Lexik des Originaltexts beibehalten. Dazu gibt es Worterklärungen und Übungen zum Leseverständnis, zum Wortschatz, zur Grammatik und zum ZD. Am Ende jedes Kapitels der beiden Texte findet sich eine entlastende Übung für das darauffolgende Kapitel. Jeder Band schließt mit Informationen zum Autor und weiterführenden Lesetipps ab. Auf der eingesprochenen CD (auch als kostenloser MP3-Download auf der Webseite des Eli-Verlags erhältlich) kann man den Text beim Lesen gut mithören.
16.09.11: Haben eure Studenten heute mal wieder nur Bahnhof verstanden? Vielleicht kann euch dann diese Rezension von Elisabeth Eberl weiterhelfen, die hier einige Erkenntnisse aus der Doktorarbeit von Sara Costa über die Ursachen von Verstehensblockaden zusammengestellt hat: Fremde Texte - fremde Wörter. Prozesse und Strategien bei Verstehensblockaden. Hrsg. von Rudolf Hoberg und Claudio Di Meola. Frankfurt a. M.: Peter Lang 2010.
30.01.11: Des Historiker Aram Mattioli veröffentlichte Viva Mussolini - Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis (Paderborn 2010), die von Michael Joost rezensiert wurde. Der Redaktion liegt die Genehmigung für die Wiedergabe der Buchbesprechung als PDF-Datei von Aus Sorge um Italien… vor.
23.11.10: Seid Ihr schon auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Dann solltet Ihr vielleicht in diese schöne Rezension mit dem Titel Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel von Michaela Reinhardt reinlesen. Mehr wird nicht verraten!
Von: ybplrctvfk Sa., 08. Juni 2019
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Letzte Änderung: So., 22. Jan. 2017